Schofield hatte noch immer den Rucksack, den er dem SAS-Mann von draußen gestohlen hatte. Zwei Tritonalladungen waren in dem Rucksack. Er hatte außerdem die

beiden Stickstoffgranaten, um die er den allerersten SAS-Soldaten erleichtert hatte, den er nach seinem Flug aus dem Wasser am Maghook getötet hatte.

»Na schön«, meinte Schofield und sah hinunter auf die schmale, einziehbare Brücke ein Deck unter sich. »Zeit, das zu einem Ende zu bringen.«

In dem geisterhaft flackernden Licht der Station traten Schofield und Kirsty auf die einziehbare Brücke von Deck C hinaus.

Wenn jemand sie gesehen hätte, hätte er gesehen, wie sie direkt hinaus zur Mitte der Brücke gingen. Derjenige hätte dann gesehen, wie Schofield sich auf ein Knie niederließ und mehrere Minuten lang etwas an der Brücke tat.

Und dann, nachdem das erledigt war, hätte dieser Jemand gesehen, wie Schofield sich gleich neben Kirsty hinhockte und wartete.

Wenige Minuten später fanden die Briten den Sicherungskästen, das Flackern hörte auf, und die Lichter der Station gingen wieder an. Die Station glühte weiß unter den strahlenden Neonröhren.

Die Leute vom SAS benötigten nicht lange, bis sie Schofield und Kirsty entdeckt hatten.

Schofield stand oben auf der Brücke, als die Reste der SAS-Einheit - etwa zwanzig Männer - Position auf dem Laufsteg von Deck C einnahmen und ihn umzingelten. Es war ein merkwürdiger Anblick - Schofield und Kirsty draußen mitten im Schacht, die im Zentrum der einziehbaren Brücke standen, während der SAS Position auf dem kreisrunden Laufsteg um sie herum einnahm.

Die Leute vom SAS hoben ihre Gewehre...
... und genau in diesem Moment hielt Schofield eine der Tritonalladungen hoch über den Kopf.

Gute Strategie ist wie Zauberei. Sorge dafür, dass dein Feind auf eine Hand sieht, während du etwas mit der anderen tust...

»Nicht schießen!«, kam Barnabys Stimme über Schofields Helmfunk. »Nicht schießen!«

Schofield sah Barnaby auf das Tümpeldeck knapp zwanzig Meter unter sich treten. Er war allein. Alle aus dem SAS-Trupp außer Barnaby standen auf Deck C und umzingelten Schofield.

Schofield warf einen Blick auf den Tümpel gleich neben Barnaby. Die Killerwale waren nirgendwo zu sehen. Gut.

»Ich habe die Tritonalladung scharfgemacht!«, rief Schofield. »Und mein Finger hält den ›ARM-Knopf‹ gedrückt! Die Zeit ist auf zwei Sekunden eingestellt! Wenn ihr auf mich schießt, werde ich die Ladung fallen lassen und wir alle werden sterben!«

Schofield stand mit weit gespreizten Beinen mitten auf der Brücke. Kirsty kniete ihm zu Füßen, unter ihm zusammengekauert. Schofield hoffte, die Leute vom SAS würden nicht sehen, wie ihm die Hände zitterten. Er hoffte, sie würden nicht sehen, dass seine Schuhbänder fehlten.

»Und wenn Ihr auf das Mädchen schießt«, sagte Schofield, als er sah, wie einer der SASMänner das Zielfernrohr auf Kirsty hinabsenkte, »werde ich ganz bestimmt diese Ladung fallen lassen.«

Währenddessen warf Schofield einen besorgten Blick hinüber zu der Nische auf dem Laufsteg.

Wenn sie die Brücke einziehen...

Barnaby rief zu Schofield hinauf: »Lieutenant, das ist sehr unfreundlich. Sie haben nicht weniger als sechs meiner Männer getötet. Zweifeln Sie nicht daran, dass wir Sie töten werden.«

»Ich möchte sicheres Geleit hier raus.«

»Das werden Sie nicht bekommen«, erwiderte Barnaby.

»Dann werden wir alle in Flammen aufgehen.«

Barnaby schüttelte den Kopf. »Lieutenant Schofield, das sieht Ihnen gar nicht ähnlich. Sie würden das eigene Leben opfern, das weiß ich. Weil ich Sie kenne. Aber ich weiß auch, dass sie niemals das Mädchen opfern würden.«

Schofield spürte, wie ihm das Blut in den Adern erstarrte.

Barnaby hatte recht. Schofield könnte Kirsty niemals töten. Barnaby zwang ihn,' Farbe zu bekennen. Schofield warf erneut einen Blick zu der Nische auf dem Laufsteg hinüber. Die Nische, die die Brückenkontrollen beherbergte.

Nero fing seinen Blick auf.

Schofield sah genau hin, als Nero von Schofield zur Nische und dann wieder zu Schofield sah.

»Hier Nero«, hörte Schofield Neros Geflüster über den Helmfunk. »Subjekt sieht zur Brückenkontrolle hier drüben. Er wirkt ganz schön nervös deswegen.«

Sorge dafür, dass der Feind auf eine Hand sieht...

Barnabys Stimme: »Die Brücke. Wir sollen die Brücke nicht öffnen. Mr. Nero. Ziehen Sie die Brücke ein!«

»Jawohl, Sir!«

Daraufhin sah Schofield Nero langsam zu der Nische gehen und die Hand nach dem Knopf ausstrecken, der die Brücke einzog. Er beobachtete Nero dabei den ganzen Weg über sehr auffällig - denn für das, was er vorhatte, musste er die Briten so weit bringen zu glauben, dass er befürchtete, die Briten würden die Brücke einziehen...

»Watson«, sagte Barnabys Stimme.

»Jawohl, Sir.«

»Wenn sich die Brücke öffnet, töten Sie ihn. Erledigen Sie ihn mit einem Kopfschuss.«

»Jawohl, Sir.«


»Houghton. Sie übernehmen das Mädchen.«


»Jawohl, Sir.«

Schofield spürte, wie ihm die Knie zu zittern begannen. Das würde sehr knapp werden. Sehr, sehr knapp.

... während du etwas anderes mit der anderen Hand tust...

»Bist du bereit?«, fragte Schofield Kirsty.


»M-hm.«

In der Nische drückte Nero den großen rechteckigen Knopf, der mit »BRIDGE« markiert war.

Es folgte ein lautes mechanisches Klirren von irgendwoher innerhalb der Wände der Nische und dann ruckte die Brücke unter Schofields Füßen jäh an, als sie sich in der Mitte teilte und langsam zurückzog.

Sobald die Brücke dabei war, sich zusammenzuschieben, feuerten zwei der SAS-Soldaten auf Schofield und Kirsty, aber die beiden waren bereits hinabgesprungen und die Kugeln pfiffen über ihre Köpfe weg.

Schofield und Kirsty ließen sich in den Schacht hinabfallen.

Sie fielen rasch.

Hinab und weiter hinab, bis sie in den Tümpel an der Basis der Station klatschten.

Es war so rasch geschehen, dass die SAS-Männer oben auf Deck C gar nicht recht wussten, was eigentlich los war.

Es spielte keine Rolle.

Denn genau in diesem Augenblick explodierten plötzlich die beiden Stickstoffgranaten, die Schofield an den Enden der einziehbaren Brücke festgeknotet hatte.

Es war die Art und Weise, wie Schofield die Stickstoffgranaten mit seinen Schuhsenkeln befestigt hatte, die es brachte.

Er hatte sie so befestigt, dass je eine Stickstoffgranate auf beiden Seiten des Verbindungsstücks zwischen den beiden Plattformen lag, die sich herausschoben und die Brücke bildeten.

Was Schofield jedoch noch getan hatte, war, dass er die Zündstifte der Stickstoffgranaten an der entgegengesetzten Plattform festgebunden hatte, so dass beide Zündstifte aus den Granaten gezogen wurden, sobald die Verbindungsstücke auseinander gezogen wurden. Wozu es jedoch nötig gewesen war, den SAS zum Einziehen der Brücke zu bewegen.

Und wirklich, bis zu dem Augenblick der Explosion hatten die SAS-Soldaten die Stickstoffgranaten nie zu Gesicht bekommen. Sie waren zu sehr damit beschäftigt gewesen, zunächst auf Schofield zu schauen, der die (nicht scharfe) Tritonalladung über den Kopf hielt, und dann zuzusehen, wie er und Kirsty in den Tümpel hinabfielen.

Sorge dafür, dass dein Feind auf deine eine Hand siebt, während du etwas mit der anderen tust.

Als er auf das eiskalte Wasser aufschlug, hätte Schofield fast gelächelt. Trevor Barnaby hatte ihn dies gelehrt.

Die beiden Stickstoffgranaten auf der Brücken gingen hoch. Auf Deck C sprühte supergekühlter flüssiger Stickstoff in alle Richtungen davon und bespritzte sämtliche SASSoldaten auf dem umgebenden Laufsteg. Das Ergebnis war entsetzlich.

Eine Stickstoffgranate ist mit keiner anderen Granate zu vergleichen - aufgrund der einfachen Tatsache, dass sie die Haut ihrer Opfer nicht durchdringen muss, um sie zu töten. Die Theorie hinter ihrer Wirkung basiert auf den besonderen Eigenschaften von Wasser -- Wasser ist die einzige in der Natur vorkommende Substanz auf Erden, die sich beim Abkühlen ausdehnt. Wenn ein menschlicher Körper von einer Ladung supergekühlten flüssigen Stickstoffs getroffen wird, wird dieser Körper sehr kalt, und zwar sehr schnell. Die Blutkörper gefrieren augenblicklich und da sie zu annähernd 70 % aus Wasser bestehen, dehnen sie sich rasend schnell aus.

Das Ergebnis: totale Blutung des Körpers. Und wenn jedes einzelne Blutkörperchen eines menschlichen Körpers explodiert, ist das ein entsetzlicher Anblick.

Die Gesichter sämtlicher SAS-Männer auf Deck C waren unbedeckt - und dort traf sie der flüssige Stickstoff.

Daher hatte der supergekühlte flüssige Stickstoff auf ihren Gesichtern den verheerendsten Effekt. Die Blutgefäße unter der Gesichtshaut - Venen, Artherien, Kapillaren - rissen sofort und explodierten plötzlich und unmittelbar.

Sofort breiteten sich über ihren Gesichtern schwarze Läsionen aus, als die Blutgefäße unter ihrer Haut explodierten. Ihre Augen füllten sich mit Blut und die Soldaten konnten nicht mehr sehen. Blut spritzte aus den Poren ihrer Haut. Die SAS-Soldaten fielen kreischend auf die Knie. Aber sie würden nicht sehr lange kreischen. Der Gehirntod würde innerhalb der nächsten dreißig Sekunden eintreten, da die Blutgefäße ihres Gehirns ebenfalls erstarrten und eine Gehirnblutung einsetzen würde.

Sie wären alle bald tot und ein jeder Schritt auf dem Weg dorthin wäre eine Qual.

Unten auf Deck E starrte Trevor Barnaby einfach nur zu der Szene hinauf.

Seine ganze Einheit war gerade von der Explosion der beiden Stickstoffgranaten niedergemäht worden. Fast das gesamte Innere der Station war mit blauer, zäher Flüssigkeit bedeckt. Geländer barsten, als der Stickstoff sie erstarren ließ. Auch das Kabel, das die Taucherglocke festhielt, war mit einer Eisschicht bedeckt - es begann ebenfalls zu brechen, als der supergekühlte flüssige Stickstoff dafür sorgte, dass es mit alarmierender Geschwindigkeit kontrahierte. Sogar die Bullaugen der Taucherglocke unten im Tümpel waren mit der zähen blauen Masse bedeckt.

Barnaby vermochte es nicht zu glauben.

Schofield hatte gerade zwanzig seiner Männer mit einem einzigen Schlag getötet...

Und jetzt war er als Einziger übrig.

Barnabys Gedanken rasten.

Also gut. Denk nach. Was ist das Ziel? Das Raumschiff ist das Ziel. muss das Raumschiff unter Kontrolle bringen. Wie bringe ich das Raumschiff unter Kontrolle? Warte mal...

Ich habe Männer dort unten. muss zur Höhle.

Barnabys Blick fiel auf die Taucherglocke.

Ja...

Und in diesem Augenblick sah Barnaby, wie auf der anderen Seite der Taucherglocke Schofield und das kleine Mädchen durch die dünne Eisschicht brachen, die sich auf der Oberfläche des Tümpels gebildet hatte, als diese von der Fontäne aus flüssigem Stickstoff getroffen worden war; er sah, wie sie zum Deck auf der anderen Seite hinüberschwammen.

Barnaby ignorierte sie. Er schnappte sich einfach eine Taucherausrüstung vom Boden gleich neben sich und tauchte in den Tümpel hinab zur Taucherglocke.

Schofield hob Kirsty aus dem Wasser hinaus und aufs Deck.

»Bist du okay?«, fragte er.

»Ich bin wieder nass geworden«, erwiderte Kirsty säuerlich. »Ich auch«, entgegnete Schofield, fuhr herum und sah Trevor Barnaby verzweifelt zur Taucherglocke hinabschwimmen.

Schofield blickte zur Eisstation über sich auf. Sie lag schweigend da. Es waren keine weiteren SAS-Soldaten übrig geblieben. Es gab nur noch Barnaby. Und diejenigen, die Barnaby bereits zur Höhle hinabgeschickt hatte.

»Hol dir eine Decke und halte dich warm«, sagte Schofield zu Kirsty. »Und geh nicht nach oben, bis ich zurückkomme.«

»Wohin gehen Sie?«

»Ihm nach«, erwiderte Schofield und zeigte dabei auf Barnaby.

Trevor Barnaby tauchte innerhalb der Taucherglocke auf, wo er vom Lauf von Schofields.44 Desert Eagle begrüßt wurde. James Renshaw hielt die Pistole mit beiden Händen gepackt und richtete sie auf Barnabys Kopf. Er hielt die Waffe so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.

»Keine Bewegung, Mister«, sagte Renshaw.

Barnaby blickte einfach nur zu dem kleinen Mann auf, der in der Taucherglocke stand. Der kleine Mann trug einen wirklich alten Taucheranzug und er war deutlich nervös. Barnaby sah die Waffe in Renshaws Hand an und lachte.

Dann holte er die eigene Waffe unter dem Wasser hervor.

Renshaw zog am Abzug seiner Desert Eagle.

Klick!

»Hm?«, meinte Renshaw.

»Sie müssen das Ding zu erst einmal durchladen«, meinte Barnaby und richtete die eigene Pistole auf Renshaw.

Renshaw sah, was kam, und mit einem kurzen Quietscher sprang er - mit Taucheranzug und allem - gleich neben Barnaby ins Wasser und verschwand.

Barnaby stieg in die Taucherglocke und schritt sofort zu den Tauchkontrollen. Er verschwendete keine Zeit. Er ließ sogleich die Luft aus den Ballasttanks. Die Taucherglocke begann ihren Abstieg.

Oben auf Deck E sah Schofield den Rückstoß der Ballasttanks. Scheiße, er ist bereits auf dem Weg nach unten, dachte Schofield, als er gleich neben einer der Sprossenleitern stehen

blieb. Er hatte beabsichtigt, zu den Winschkontrollen auf Deck C hinaufzusteigen und die Taucherglocke von dort aus anzuhalten...

Und dann, genau in diesem Moment, ertönte ein ungeheuerlicher Lärm von irgendwoher über sich.

Zingggg-boinnng!

Schofield blickte gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie das Kabel, das die Taucherglocke oben hielt - fest gefroren vom flüssigen Stickstoff - sich ein letztes Mal krachend zusammenzog.

Das erstarrte Kabel riss.

Die Taucherglocke versank.

Schofield erblasste. Dann lief er los.

Lief, so rasch er konnte. Auf den Tümpel zu. Weil das jetzt die letzte Fahrt der Taucherglocke zum Unterwassertunnel wäre, und dies war der einzige Weg zur Höhle, und falls Barnaby dorthin gelangen würde und die Marines da unten bereits tot wären, dann hätten die Briten das Raumschiff und die Schlacht wäre verloren und Schofield war verdammt noch mal einfach zu weit gelangt, um jetzt noch alles zu verlieren...

Gerade als die Taucherglocke unter der Oberfläche verschwand, sprang Schofield in vollem Lauf vom Rand des Decks ab, sprang hoch in die Luft.

Schofield tauchte ins Wasser und schoss in die Tiefe.

Und dann schwamm er. Heftig. Mit starken, kraftvollen Zügen jagte er der sinkenden Taucherglocke hinterher.

Da sie jetzt nicht mehr am Winschkabel hing, sank die Taucherglocke jetzt rasch hinab und Schofield musste alle seine Kräfte mobilisieren, um sie einzuholen. Er kam nahe heran, streckte die Hand aus und... und packte die Röhren, die außen rings um die Taucherglocke verliefen.

Barnaby innerhalb der Taucherglocke steckte seine Waffe ins Holster zurück und zog den Zünder hervor.

Er überprüfte die Zeit. 20.37 Uhr.

Daraufhin stellte er die Uhr des Zündapparats ein. Er gab sich zwei Stunden, ausreichend Zeit zum Erreichen der Untergrundhöhle. Es war entscheidend, unten zu sein, wenn die Tritonalladungen rings um die Eisstation Wilkes in die Luft gingen.

Daraufhin holte Barnaby sein Navistar Global Positioning System aus der Tasche und drückte die »ÜBERTRAGUNGS«-Taste. Lächelnd steckte Barnaby das GPS wieder in die Tasche. Trotz des Verlusts seiner Männer oben in der Station verlief noch immer alles nach Plan - nach seinem ursprünglichen Plan.

Wenn die achtzehn Tritonalladungen in die Luft gingen, würde die Eisstation Wilkes auf einem frisch gebildeten Eisberg ins Meer hinaustreiben. Dann wüssten dank Barnabys GPS-Empfänger britische Rettungseinheiten - und nur britische Rettungseinheiten - genau, wo der Eisberg, die Station, Barnaby selbst und, am allerwichtigsten, das Raumschiff zu finden wären.

Die Taucherglocke fiel durchs Wasser hinab - rasch - und Shane Schofield klammerte sich an das Röhrensystem darauf.

Langsam, Hand über Hand, zog Schofield sich an der Seite der sinkenden Taucherglocke hinab. Die große Taucherglocke rüttelte und schüttelte sich und krängte im Wasser, aber Schofield hielt fest.

Und dann erreichte Schofield endlich die Basis der Taucherglocke und schwang sich darunter.

Schofield brach innerhalb der Taucherglocke aus dem Wasser hervor.

Sofort sah er Barnaby, sah den Zünder in dessen Hand.

Barnaby fuhr herum und zog seine Waffe, aber Schofield warf sich bereits aus dem Wasser. Schofields Faust schoss aus dem Wasser hoch und traf Barnaby aufs Handgelenk. Barnabys Pistolenhand öffnete sich reflexartig, die Waffe flog heraus und fiel klappernd aufs Deck.

Schofields Füße fanden gerade Halt auf dem Deck der Taucherglocke, da fiel Barnaby auch schon über ihn her. Die beiden Männer prallten mit voller Wucht auf die gewölbte Innenwand der Taucherglocke. Schofield versuchte, Barnaby von sich wegzutreten, aber Barnaby war ein zu geschickter Kämpfer. Barnaby drückte Schofield gegen die Wand und versetzte ihm einen mächtigen Tritt. Sein Stiefel mit der Stahlkappe traf Schofields Wange und Schofield stürzte mit den Armen rudernd rückwärts und spürte, wie sein Gesicht gegen das kalte Glas eines der Bullaugen der Taucherglocke schlug.

In diesem Augenblick - und nur für den Bruchteil einer Sekunde - sah Schofield das Glas des Bullauges vor sich, sah, wie sich in dünner Riss im Glas gleich vor seinen Augen auszubilden begann.

Schofield blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Barnaby trat ihn erneut. Und wieder. Und wieder. Schofield stürzte aufs Deck.

»Du gibst nie auf, nicht wahr?«, meinte Barnaby, als er Schofield mit seinem Stiefel trat. »Du gibst nie auf.«

»Das ist meine Station«, sagte Schofield durch die zusammengebissenen Zähne.

Ein weiterer Tritt. Die Stahlkappe von Barnabys Stiefel knallte in die Rippe, die Schofield zuvor während seines Kampfs mit dem SAS-Soldaten in dem Hovercraft gebrochen hatte. Schofield brüllte vor Schmerz.

»Das ist nicht mehr deine Station, Scarecrow.«

Barnaby trat Schofield erneut, aber diesmal wälzte sich Schofield weg und Barnabys Stiefel traf die Stahlwand der Taucherglocke.

Schofield wälzte sich immer weiter, bis er den Metallrand des Tümpels an der Basis der Taucherglocke erreichte.

Und plötzlich sah er sie.

Die Harpune.

Die Harpune, die er aus Little America IV mitgenommen hatte. Sie lag einfach da auf dem Deck, gleich vor seinen Augen.

Aus dem Gleichgewicht geraten griff Schofield nach der Harpune, gerade als Barnaby vor ihm auf das Deck sprang und ein weiteres Mal brutal zutrat.

Der Tritt saß und Schofield fiel - Harpune und alles andere mit ihm - vom Deck in den kleinen Wassertümpel an der Basis der Taucherglocke und auf einmal fand er sich außerhalb der hinabfallenden Taucherglocke wieder!

Die Taucherglocke fiel an ihm vorüber und Schofield streckte die linke Hand aus und packte damit eine der Röhren an der Seite der Glocke, als diese an ihm vorüberfiel, und er wurde jäh nach unten gerissen.

Schofield hielt die Harpune fest und schlang ein Bein um die äußere Röhre der fallenden Taucherglocke. Er konnte nur raten, wie tief sie gefallen waren.

Dreißig Meter? Sechzig Meter?

Schofield spähte durch eines der kleinen runden Bullaugen der Taucherglocke. Über dieses Bullauge verlief ebenfalls ein dünner weißer Riss.

Schofield sah den Riss und plötzlich begriff er, was es war. Der flüssige Stickstoff, der oben in der Station gegen die Taucherglocke gespritzt war, zog das Glas des Bullauges zusammen, schwächte es, brachte es zum Springen.

Schofield sah Barnaby im Innern der Taucherglocke, sah ihn, wie er auf dem kleinen Metalldeck stand, und Schofield salutierte, wie er mit seinem Zündapparat ihm zuwinkte, als ob alles vorüber wäre.

Aber es war nicht vorüber.

Schofield starrte Barnaby durch das Bullauge an.

Und dann, während er von außerhalb der Taucherglocke auf Barnaby blickte, tat Schofield etwas Seltsames und im Nu verschwand das Lächeln aus Barnabys Gesicht.

Schofield hatte seine Harpune gehoben...
... und richtete diese auf das gesprungene Bullauge.

Barnaby erkannte es eine Sekunde zu spät und Schofield sah, wie der britische General auf die gegenüberliegende Seite der Taucherglocke sprang und »Nein!« kreischte, aber da hatte Schofield bereits den Abzug der Harpune gezogen, die direkt durch das gesprungene Glas des Bullauges der Taucherglocke schoss.

Das Resultat trat auf der Stelle ein. Die Harpune schoss durch das gesprungene Glas des Bullauges und erzeugte dadurch ein Loch in der Hochdruckatmosphäre der Taucherglocke. Aufgrund des verloren gegangenen Gleichgewichts zwischen dem Innendruck der Taucherglocke und dem äußeren Wasserdruck wurde der Druck des Ozeans plötzlich überwältigend.

Die Taucherglocke implodierte.

Ihre gewölbten Wände fuhren mit rasanter Geschwindigkeit nach innen, als der gewaltige Druck des Ozeans sie zerknüllte wie ein Blatt Papier. Trevor Barnaby Brigadier-General Trevor J. Barnaby des SAS Ihrer Majestät - wurde in einem einzigen, zermalmenden Augenblick zu Tode gequetscht.

Shane Schofield hing einfach da im Wasser und sah den Überresten der Taucherglocke zu, wie sie in die Dunkelheit hinabsanken.

Barnaby war tot. Alle SAS-Männer waren tot.

Er hatte die Station zurückerobert.

Und dann überkam Schofield ein weiterer Gedanke, und ein Woge der Panik überflutete ihn. Er befand sich immer noch über dreißig Meter unter der Oberfläche. Er wäre nie imstande, den Atem lange genug anzuhalten, um wieder hinaufzukommen.

O Gott, nein!

Nein...

Und in diesem Augenblick sah Schofield eine Hand vor seinem Gesicht erscheinen und er wäre fast vor Schreck gestorben, weil er dachte, dass es Barnaby sein musste, dass es Barnaby irgendwie gelungen war, der Taucherglocke zu entkommen, eine Sekunde, ehe sie...

Aber es war nicht Trevor Barnaby.

Es war James Renshaw.

Der im Wasser über Schofield schwebte und durch seine dreißig Jahre alte Taucherausrüstung atmete.

Er bot Schofield sein Mundstück an.

Es war 21.00 Uhr, als Schofield wieder Deck E betrat.

Es war 21.40 Uhr, als er die Station von oben bis unten nach überlebenden SAS-Soldaten durchsucht hatte. Es gab keine mehr. Schofield nahm unterwegs mehrere Waffen mit eine MP5, mehrere Stickstoffgranaten. Er erhielt außerdem von Renshaw seine Desert Eagle zurück.

Schofield suchte auch nach Mother, aber von ihr gab es keine Spur.

Überhaupt keine Spur.

Schofield sah sogar in den Stummen Diener, der zwischen den verschiedenen Decks verlief, aber Mother war auch nicht darin.

Mother war nirgendwo zu finden.

Erschöpft ließ Schofield sich am Rand des Tümpels von Deck E nieder. Es war jetzt mehr als vierundzwanzig Stunden her, seitdem er zuletzt geschlafen hatte, und allmählich merkte er das.

Renshaws Taucherausrüstung aus Little America IV lag trief-nass neben ihm auf dem Deck. Daran war noch immer das lange Stahlkabel befestigt - das Kabel, das sich durch das Wasser erstreckte, unter das Eisschelf hindurch und ins Meer hinaus, bis zurück zu der verlassenen Eisstation in dem Eisberg etwa einen Kilometer vor der Küste. Schofield schüttelte den Kopf, als er die altertümliche Taucherausrüstung ansah. Hinter ihm auf dem Deck lag einer der Scooter des britischen Teams - ein schlanker, supermoderner Apparat. Das genaue Gegenteil der primitiven Taucherausrüstung von Little America IV.

Renshaw war oben in seinem Zimmer auf Deck B und holte einige Verbände, Scheren und etwas Desinfektionsmittel, um Schofields Wunden zu versorgen.

Kirsty stand hinter Schofield auf dem Deck und beobachtete ihn besorgt. Schofield holte tief Atem und schloss die Augen. Daraufhin packte er seine Nase und - Kraaack! - seine gebrochene Nase war wieder gerichtet.

Kirsty fuhr zusammen. »Tut das nicht weh?«

Schofield schnitt eine Grimasse und nickte. »Ziemlich.«

Genau in diesem Augenblick ertönte ein lautes Klatschen und Schofield fuhr gerade rechtzeitig herum, dass er Wendy aus dem Wasser herausschießen und auf dem Metalldeck landen sah. Sie hoppelte zu ihm hinüber und Schofield tätschelte ihr den Kopf. Sofort wälzte sich Wendy auf den Rücken und brachte ihn dazu, ihr den Bauch zu tätscheln. Schofield tat es. Kirsty hinter ihm lächelte.

Schofield blickte auf seine Armbanduhr.
21.44 Uhr.

Er dachte an die Lücken in dem Flare, von dem ihm Abby Sinclair zuvor berichtet hatte.

Abby hatte gesagt, die Unterbrechungen des Flare würden um 19.30 Uhr und um 22.00 Uhr über die Eisstation Wilkes streichen.

Nun, die Lücke um 19.30 Uhr hatte er verpasst.

Aber es waren noch immer sechzehn Minuten hin, bis die letzte Lücke um 22.00 Uhr über die Station strich. Dann würde er versuchen, zu einem Funkgerät zu kommen, und McMurdo rufen.

Seufzend wandte Schofield sich um. Zuvor waren jedoch einige Dinge zu erledigen.

Er sah einen Marinehelm auf dem Deck. Snakes Helm, vermutete er. Schofield streckte die Hand danach aus, hob ihn auf und setzte ihn sich auf den Kopf.

Daraufhin schwenkte er das Helmmikrofon vor seinen Mund.

»Marines, hier ist Scarecrow. Montana, Fox. Santa Cruz. Versteht ihr mich?«

Zunächst erfolgte keine Antwort, dann vernahm Schofield jäh: »Scarecrow? Bist du das?«

Es war Gant. »Wo bist du?«, fragte sie.


»Ich bin oben in der Station.«


»Was ist mit der SAS?«

»Hab sie getötet. Hab meine Station zurückbekommen. Was ist mit euch? Wie ich gesehen habe, hat Barnaby ein Team zu euch hinabgeschickt.«

»Wir haben ein bisschen Hilfe bekommen, aber wir haben uns ohne eigene Verluste um sie gekümmert. Alle haben ihre Quittung bekommen. Scarecrow, wir haben über eine Menge zu reden.«

Unten in der Eishöhle blickte Libby Gant hinter dem horizontalen Spalt hervor.

Nach dem kurzen Kampf mit dem britischen Taucherteam hatten sie und die anderen sich hinter den Spalt zurückgezogen, nicht, um von den SAS-Soldaten wegzukommen - die waren allesamt tot -, sondern vielmehr, um den riesigen Seeelefanten zu entkommen, die, nachdem sie sich an den SAS-Männern gemästet hatten, in der Höhle umherstreiften. Gerade im Augenblick, sah Gant, hatten sich die Seeelefanten um das große schwarze Schiff geschart, wie Camper um ein Lagerfeuer.

»Worüber zum Beispiel?«, fragte Schofields Stimme.

»Zum Beispiel über ein Raumschiff, das kein Raumschiff ist«, erwiderte Gant.

»Berichte mir davon!«, sagte Schofield matt.

Gant berichtete Schofield rasch von ihrem Fund. Über das »Raumschiff« selbst und die Tastatur daran, über den Hangar, das Tagebuch und das Erdbeben, das die ganze Station tief in der Erde begraben hatte. Es wirkte wie irgendein absolut geheimes Militärprojekt -die geheime Konstruktion irgendeines Kampfjets durch die US Air Force.

Gant hatte auch erwähnt, dass das Tagebuch auf einen Plutoniumkern innerhalb des Flugzeugs Bezug nahm.

Daraufhin berichtete sie Schofield von den Seeelefanten und den Leichen in der Höhle und wie die Seehunde die SAS-Soldaten niedergemacht hatten, nachdem diese aus dem Wasser gekommen waren. Ihre Bösartigkeit, meinte Gant, wäre schockierend gewesen.

Schofield nahm alles schweigend zur Kenntnis.

Daraufhin berichtete er Gant von dem Seeelefanten, den er bereits auf dem Bildschirm in Renshaws Zimmer gesehen hatte; berichtete von den abnorm großen unteren Stoßzähnen, die wie ein Paar umgekehrter Fänge aus dem Unterkiefer herausragten. Beim Sprechen sah er plötzlich ein Bild vor seinem geistigen Auge - das Bild des toten Killerwals, den sie früher am Tag hatten auftauchen sehen; er hatte zwei lange Risswunden gehabt, die ihm über den ganzen Bauch verlaufen waren.

»Wir haben auch ein paar Seehunde mit solchen Zähnen gesehen«, sagte Gant. »Jedoch kleiner. Halbwüchsige Männchen. Derjenige, den du gesehen hast, muss der Bulle gewesen sein. Deinen Worten nach zu schließen sieht es jedoch so aus, als ob nur die Männchen große von unten aufragende Eckzähne trügen.«

Bei diesen Worten hielt Schofield inne. »Ja.«

Und dann, genau in diesem Moment, klickte etwas in seinem Kopf. Etwas, das damit zu tun hatte, warum nur die männlichen Seeelefanten so abnorm große untere Eckzähne hatten.

Wenn das Raumschiff wirklich einen Plutoniumkern barg, dann konnte man jede Wette eingehen, dass dieser Kern langsam Strahlung emittierte. Kein Leck. Einfach bloß Strahlung, die bei jedem Apparat auftrat, der mit Kernenergie betrieben wurde. Wenn sich die Seeelefanten in der Nähe des Schiffs ein Nest eingerichtet hatten, so hatte im Lauf der Zeit die Strahlung des Plutoniums eine Wirkung auf die männlichen Exemplare ausüben können.

Schofield erinnerte sich daran, den berüchtigten Rodriguez-Report über Strahlung in der Nähe alter Kernwaffenfabriken in der Wüste von New Mexico gesehen zu haben. In den nahe gelegenen Städten hatte man ein ungewöhnlich hohes Auftreten genetischer Anomalien festgestellt. Außerdem hatte man eine auffallend höhere Anzahl solcher Anomalien bei Männern als bei Frauen gefunden. Verlängerte Finger stellten eine verbreitete Mutation dar. Verlängerte Zähne eine weitere. Zähne. Die Verfasser des Reports

hatten das höhere Auftreten genetischer Anomalien bei Männern mit dem männlichen Hormon Testosteron in Verbindung gebracht.

Vielleicht, dachte Schofield, war es das, was hier geschah.

Shane Schofield 01 - Ice Station
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